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Laudatio auf den Architekten Wolfgang Ernst
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Meine Damen und Herren, erwarten Sie bitte keine Lobrede eines Architekten
auf Wolfgang Ernst. Ich bin nicht vom Fach, möchte Ihnen aber eine
Begründung dafür geben, warum ich diese Aufgabe übernommen
habe. Im Bereich der Architektur bin ich ein Laie. Man nennt solche Menschen
im eigentlichen Wortsinn „Dilettanten“. Der Begriff ist aus
dem italienischen „dilettante“ in der Bedeutung von „Kunstliebhaber“
entlehnt worden und geht auf das italienische „dilettare“
(erfreuen, amüsieren) zurück. Im Deutschen ist das Wort aus
der positiven Bezeichnung für jemanden, der sich zur Kunst, Musik
oder Architektur hingezogen fühlt, aber keine professionelle Kompetenz
dafür hat, zur negativen Bezeichnung heruntergekommen. und meint
jemanden, der über mangelndes Können und Wissen in einem bestimmten
Bereich verfügt. Nehmen Sie bitte mit einem Dilettanten im positiven
Sinne vorlieb. Ich habe schon während meiner Schulzeit einiges über
moderne Architektur erfahren. Mein späterer Schwager, damals noch
mein Pfadfinderführer, studierte in den letzten Semestern Architektur
an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Ich habe ihm gelegentlich helfen
können, Modelle für Wettbewerbe zu basteln, wenn die Zeit drängte.
Hie und da durfte ich ihn auch in die Vorlesungen seines Lehrers Egon
Eiermann begleiten. So hatte ich mit 16/17 den Berufswunsch, Architektur
zu studieren. Er wurde dann allerdings auf Literatur- und Kunstgeschichte
verlagert.
Mit dem Architekten Wolfgang Ernst verbindet meine Frau und mich eine
quasi „passive Erfahrung“: Nachdem wir das von ihm entworfene
Haus des Kollegen Rath in Dudweiler kennengelernt hatten, waren wir uns
schnell einig, dass wir Wolfgang Ernst mit dem geplanten Neubau eines
Wohnhauses beauftragen würden. (1) Er hat uns uneigennützig
davon abgebracht und einen Anbau am Reihenhaus empfohlen, den er zu unserer
bis heute anhaltenden großen Zufriedenheit ausgeführt hat.
So lernten wir die Arbeit des Architekten Ernst vom ersten Entwurf bis
zur korrekten Ausführung aller Pläne kennen. Ich erinnere mich
noch an unsere ersten Gespräche. (2-6) Er schlug damals zwei Kugelhäuser
vor, die an das bestehende Reihen-Endhaus angebunden werden sollten.(7)
Nach meinen Bedenken, dass man darin ja kaum mehrere Bücherregale
aufstellen könnte, sind wir zu zwei auf Stützen stehenden Anbauten
mit rechteckigem Grundriss gekommen(8-10). Die harmonische Materialverwendung
– vor allem Holz und Beton – vor allem aber die Aufmerksamkeit
auf das kleinste Detail haben uns beeindruckt. Der etwas eigenwillige
Dachdeckermeister hat vor sich hin gelächelt, als ihm Wolfgang Ernst
für ein nicht gegen Regen geschütztes Holzstück die Anfertigung
eines etwa 3 cm langen und 2 cm breiten Bleches empfohlen und skizziert
hat. Es ist tatsächlich ausgeführt worden.
Anlass dieser Ausstellung ist das Berufsjubiläum des Architekten:
(11) vor 50 Jahren hat er seine Bauzeichnerlehre im Architekturbüro
Hoffmann in Saarlouis begonnen.
(12) Schon während der Ausbildung – auch in ihrer späteren
Phase bis hin zur Fachhochschule – hat Wolfgang Ernst kleinere Projekte
realisiert, so etwa, wenn in der Verwandtschaft gebaut wurde. (13) Der
junge Bauzeichner hat dann Pläne geliefert, die von seinem Chef abgesegnet
wurden. Bis heute ist eine stattliche Zahl von Bauten nach seinen Plänen
entstanden. Vom Wohnhaus über mehrere Kanuheime, von Verwaltungs-
und Laborbauten bis zu großen Wohnanlagen, von Mehrfamilienhäusern
und Produktionshallen zu zahlreichen Umbauten und Sanierungen, teilweise
im Bereich von Denkmalschutz und erhaltenswerter Bausubstanz. Ich nenne
im Überblick nur einige Beispiele: (14-17) Die Hauptstelle der Volksbank
Saar-West in Saarlouis, (18-20) eine große Wohnanlage in Saarlouis,
(21) Stadtwohnungen und (22-23) Wohnungen im Bahnhofsbereich Saarlouis,
(24)die Kreissparkasse in Siersburg und (25-26) Saarlouis, (27-28) die
Johannes Gutenberg-Schule Schwalbach, (29) das SOS-Kinderdorf Hilbringen,
(30) Umbau- und Neugestaltung des Pfarrheimes der Kath. Pfarrgemeinde
Schwalbach-Hülzweiler und (31) der Evang. Kirchgemeinde Saarlouis
(Kindertagesstätte und Behindertenrampe) und(32) in Saarlouis-Steinrausch
(Sanierung des Gemeindezentrums) und Dudweiler. Wolfgang Ernst hat sich
an zahlreichen Wettbewerben für den Neubau oder die Umgestaltung
von(33+34) Schulen, Kirchen, (35) Kindergärten, (36) Gemeindezentren,
(37) Rathäusern, (38) Banken, (39-40) Spielbank, (41) Wohn- und Jugendhäusern,
(42) Verwaltungsbauten, (43)Rundfunkgebäuden, (44) Musikhochschule
und städtebaulichen Projekten beteiligt. (45) 1973 erhielt er den
Architekturpreis des Bundes Deutscher Architekten für das Wohnhaus
Krause in St. Barbara. Durch zahlreiche Veröffentlichungen in Fach-
und Publikumszeitschriften ist er im In- und Ausland bekannt.
Wolfgang Ernst wurde am 31. Dezember 1942 in Saarlouis-Roden geboren.
Er besuchte dort von 1948-1956 die Volksschule. Früh verlor er Vater
und Mutter. (46) Die ältere Schwester nahm ihn auf. Die schon erwähnte
Bauzeichnerlehre absolvierte er von 1956 bis 1959 (47) im Architekturbüro
Hoffmann. (48) Gleichzeitig besuchte er die Berufsschule in Saarlouis
und Saarbrücken. Handwerkspraktika schlossen sich 1959/60 an: im
Metallbau, in einer Schreiner und als Maurer. (49) Einen Monat war er
auf der Lehrbaustelle in Bischmisheim. Neben diesen schulischen und praktischen
Pflichten besuchte er von 1959-1962 die Abendschule und erwarb die Berechtigung
für das Studium an einer Fachhochschule. (50-51) Von 1960-1965 verdiente
er seinen Lebensunterhalt als Bauzeichner und absolvierte weitere Praktika
im Architekturbüro Hoffmann und in anderen Architekturbüros.
Von 1962-1965 studierte er an der Fachhochschule Saarbrücken Architektur
und schloss seine Ausbildung mit dem Diplom ab. Der frischgebackene Architekt
und Dipl.-Ing. fand sofort Arbeit im (52) Architekturbüro Walter
Schrempf in Saarbrücken und war an allen großen Projekten des
Büros beteiligt: Mensa der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit
mit dem Bildhauer Otto Herbert Hajek, Zoorestaurant, Sparkasse der Stadt
Saarbrücken, Seniorenwohnstift Egon-Reinert-Haus, Studentenwohnhäuser
Waldhausweg, Raststätte Goldene Bremm und mehreren Wettbewerben,
bei welchen das Büro Schrempf den 1. Preis gewann. In den zehn (53)
Jahren inspirierender Arbeit in diesem Büro eines kreativen Architekten
hat er so viele Erfahrungen im Entwerfen, Planen und in der Bauausführung
gesammelt, dass er es wagen konnte, 1971 ein eigenes Architekturbüro
in Saarlouis einzurichten.
Wolfgang Ernst hatte vier wichtige Lehrer, die seine künftige Arbeit
als Architekt prägten. Zunächst war es der von Beginn seiner
Ausbildung an intensive Kontakt mit der Praxis, und zwar nicht nur während
der obligatorischen Praktika in verschiedenen Bauhandwerkszweigen, sondern
auch als intensiv Lernender in den Büros, in denen er arbeitete.
(54) Der Architekt Hoffmann in Saarlouis, der ihn gegen eine starke Konkurrenz
als Lehrling einstellte – das Abgangszeugnis war beeindruckend und
eine Mappe mit Zeichnungen sehr respektabel –, hatte ein fast väterliches
Verhältnis zu seinem begabten Lehrling. Er wusste, was er ihm anvertrauen
konnte und förderte ihn in jeder Hinsicht. Der Inhaber des Saarbrücker
Architekturbüros Walter Schrempf hat Wolfgang Ernst in die höheren
Weihen des künstlerischen Planens und Bauens eingeführt. In
einem von Ernst geschriebenen Text heißt es: „Walter Schrempf
arbeitet intensiv, ohne persönliche Vorbehalte und Rücksichtnahme
auf die eigene Person, erfinderisch, mit dem Ziel, die Umgebung und den
Raum im Rahmen des machbar Sinnvollen für den Menschen zu verbessern.
Er provoziert, fordert dabei auf, sich mit dem Gebauten auseinanderzusetzen,
es durch bewußten Gebrauch anzunehmen oder auch abzulehnen. Seine
Bauten fördern das bewusste Erleben überdurchschnittlich, sie
regen zum Vergleich und zur Ortung der eigenen Beziehung zur gemachten
Umwelt an <...>.“ Walter Schrempf (1921-1998) studierte seit
1945 an der TH Stuttgart, wo er sich auch mit Bildhauerei beschäftigte.
Nach dem Diplom arbeitete er von 1950-52 als Architekt in Hamburg, Nürnberg
und Saarbrücken. Dort wurde er Leiter der Klasse für Raumgestaltung
1957/58 an der damaligen Werkkunstschule. Es war die große Zeit
dieser Kunstschule mit Otto Steinert (subjektive Fotografie), Oskar Holweck
(Grundlehre) und vielen anderen bedeutenden Künstlern. Das Interesse
an der Bildhauerei führte dann beim Bau der Mensa zur außergewöhnlichen
Zusammenarbeit mit Otto Herbert Hajek. Von 1957-86 wirkte Schrempf als
freier Architekt vor allem am Aufbau der Universität in Saarbrücken
und Homburg mit. An den meisten großen Projekten seines Büros
war Wolfgang Ernst wesentlich beteiligt. Dessen eigenes Bauen wäre
ohne diese Tätigkeit im Büro Schrempf kaum zu verstehen.
(55) Einen überregional hochangesehenen weiteren Lehrer hat Ernst
in Hans Scharoun (1893-1972) gefunden. Scharoun griff die großen
Anregungen der zwanziger Jahre auf Für ihn waren noch die Erben der
Jugendstilarchitektur wichtig. Er orientierte sich an den Bauten von Bruno
Taut und Erich Mendelssohn und übernahm weitgehend die Grundsätze
eines „organischen Bauens“, die 1925 von Hugo Häring
formuliert worden waren. Noch im ersten Programm und Manifest des Bauhauses
wies Walter Gropius auf das Jugendstilideal der Künstlerbünde
hin und forderte mit ihnen das gleichberechtigte Nebeneinander von Künstlern
und Handwerkern am „neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt
sein werde. Architektur und Plastik und Malerei“ (Leonie Becks:
Hans Scharoun. Münster 1990, S. 226). Wichtig scheint mir auch in
der Frühphase Scharouns seine Anlehnung an die Vorstellungen der
„Glasarchitektur“ gewesen zu sein. In zahlreichen Aquarellen
hat er vor jeder Möglichkeit einer Realisierung seine Visionen dargestellt,
wie dies auch die heute so berühmte irakisch-britische Architektin
Zaha Hadid in großformatigen Gemälden und Grafiken einer Zukunftsarchitektur
getan hat, bevor sie die ersten Aufträge erhielt. Hans Scharoun war
in der Bundesrepublik ein „etablierter Außenseiter“,
dem man allerdings „kreative Radikalität“ nicht absprechen
konnte. Er berief sich mit Hugo Häring auf ein „organhaftes“,
nicht „organisches“ Bauen. 1977 erklärte Günter
Behnisch, der Architekt des Münchner Olympiastadions und des Bonner
Bundestagsgebäudes, Egon Eiermann sei der Architekt der letzten 20
Jahre in der BRD gewesen. 1982 erzählte er jedoch, die Überlegungen
in seinem Büro stießen immer wieder auf Gedanken von Hans Scharoun
und Hugo Häring. Nach wie vor dürfte Scharouns Hauptwerk, die
Neue Philharmonie in Berlin, für viele jüngere Architekten von
exemplarischer Bedeutung sein.
Unmöglich wäre es, auch nur die wichtigsten Bauten und Anbauten
und Renovierungen von Wolfgang Ernst in Kürze darzustellen. Ich beschränke
mich deshalb auf eine rigorose Auswahl und stelle an den Anfang die Saarbrücker
Mensa, spreche dann über die Wohnhäuser Krause und Rath, über
das Bootshaus „Undine“, die großen städtebaulich
wichtigen Arbeiten in Thionville und in der Zeughausstraße in Saarlouis,
schließlich über die Schulen in Schwalbach.
(56) Ich stelle die Saarbrücker Mensa an den Anfang meiner knappsten
Übersicht, weil die Mitarbeit von Wolfgang Ernst an diesem für
das Saarland so wichtigen Bau auch seine eigene Arbeit geprägt hat.
Es ist nicht so sehr der Grundriss, der als großes Quadrat und mit
quadratischen Modulen angelegt ist, (57-60) sondern die Verwendung von
plastischen Betonelementen in der Außenwand und im Innenraum. Dadurch
entstehen unterschiedliche größere und kleinere Ebenen und
Einheiten, die auf einem quadratischen Grundraster aufbauen. Hinzu kommen
die kräftigen Farben, die der Bildhauer Hajek gewählt hat, die
Durchbrüche in der Wandgestaltung, die immer wieder zu neuen Licht-
und Schattenspielen führen. Die Mensa wurde als „eines der
interessantesten Beispiele der Gegenwartsarchitektur“ (http://www.institut-aktuelle-kunst.de/detailpublikationen+M56e0f1c5243.html
, S. 43) bezeichnet. Für Walter Schrempf war dieser Bau, den man
im „Reich“ mit Sicherheit nicht genehmigt hätte, nur
möglich, weil nach Auskunft des Architekten nicht genug Leute da
waren, die aufgepasst hätten, „daß wir das nicht machen“
(ebd.) Die Mensa mit ihrem quadratischen Grundriss entspricht nicht den
Vorstellungen von „organhaftem Bauen“ in der Tradition von
Häring und Scharoun, wohl aber der Vorstellung von einem Baukörper
als Plastik. Schrempf hat sich selbst so verstanden: „Architektur
in Plastik. Ich hatte immer die Absicht eine begehbare Plastik zu machen,
eine ‚Sitzlandschaft’ <...>“ (ebd., S. 46). Der
Bau blieb im Saarland ohne Nachfolge. Er hat 1969 den Saarländischen
Architekturpreis bekommen; das Museum of Modern Art hat ihn in seinem
Archiv dokumentiert (ebd., S. 51).
(61-67) In Ernsts Gesamtwerk nimmt das Wohnhaus Krause in Wallerfangen-St.
Barbara von 1973 eine besondere Stellung ein – dafür hat er
1974 den Architekturpreise des BDA bekommen. Es sollte ein Wohnhaus für
unkonventionelles Wohnen sein. Der Bauherr wollte beim Rohbau mitwirken
können, so dass die Kosten relativ niedrig blieben. Auf einem polygonalen
Grundriss, basierend auf einem gleichseitigen Dreieck als Modul, wurde
das Wohnhaus errichtet. Zwanglosere Raumbildung und vielfältigere
Besonnung waren dadurch möglich. Die unregelmäßigen Räume
wurden so angelegt, dass auch serienmäßige Möbel darin
Platz fanden. Die besonders auffällige Dachform unterstützt
die räumliche Gliederung und ermöglicht durch Versatz und gekippte
Flächen eine gute Belichtung der Räume im Erdgeschoss. Im Firstbereich
war durch Heben einer Teildachfläche ein zum Wohnraum offener Turmraum
mit Aussicht ins Saartal möglich. In der Wahl der Mittel erweist
sich Ernst als treuer Schüler von Schrempf: einfachste Mittel wie
Sichtmauerwerk, Beton, grober Kellenwurfputz, Holz und Glas. Die Dachkonstruktion
wurde als einfaches Pultdach mit Pfetten, Sparren und Stützen aus
sägerauem Fichtenholz ausgeführt. In der Begründung der
Jury für den Preis heißt es: „Dem Bau liegt ein konstruktiver
Raster zugrunde; er hat jedoch nirgendwo zu Zwängen geführt,
sondern im Gegenteil zu lebendigen, erfrischenden, unkonventionellen Lösungen.
Das gilt auch für die in sich abgeschlossenen Räume des Hauses,
die jeder eine besondere Qualität, etwa der Belichtung, aufweisen.
Die sehr bescheidenen konstruktiven und materiellen Mittel sind ausschließlich
für eine Befreiung des Wohnens von starren Bindungen eingesetzt,
was auch und vor allem den Kindern des Bauherrn zugute kommt“. (Architekturführer
Saarland 1981, S. 92)
Ich gestehe gern, dass mich das Wohnhaus(68-72) (1976) meines Kollegen
Rainer Rath und seiner damaligen Frau, einer Pianistin, sofort an Bauten
von Hans Scharoun erinnert hat. Blickt man von oben auf die verschiedenen
Dachebenen des Hauses, leuchtet diese Assoziation wohl jedem Kenner der
Berliner Philharmonie ein. Die Gebäudeform berücksichtigt topografische
Gegebenheiten und ermöglicht die Aufnahme und Einbeziehung der Landschaft.
(73-80) Ähnlich einer Zeltstütze bezieht der Kamin als zentraler
Punkt alle Dachflächen auf sich. Das zweischalige, belüftete
Dach besteht aus den sichtbaren Nagelbindern, sternförmig zur Kaminstütze
angeordnet, und den dazwischenliegenden, ebenfalls sichtbaren Sparren.
Darüber liegt Sichtholzschalung aus nordischer Fichte mit Aufsparrendämmung.
Das Haus wurde auf der Basis eines Dreiecksrasters entworfen. Die Plastizität
dieser Hausplastik wird gesteigert durch die mehrfach versetzten Ebenen,
die der Hangneigung des Grundstücks folgen.
(81-84) Mit dem Bootshaus „Undine“ in den Saarlouiser Saarwiesen
ist Wolfgang Ernst wieder eine differenzierte Bauskulptur gelungen. Das
Bootshaus wurde 1981 eingeweiht. Es war nicht einfach, zahlreiche Funktionen
(Räume für die Kanuten, Kegelbahnen, Restaurant, Pächterwohnung,
Schießstand für Sportschützen) unter ein Dach zu bringen.
Es sollten „Erlebnisräume“ geschaffen werden. Den Tag
über sollte so viel wie möglich Licht in die Räume fallen.
Deshalb löste der Architekt auch hier die Dachfläche in zahlreiche
Ebenen auf, so dass Schrägen und Dachfenster das Licht ins Haus lassen.
Die Dachkonstruktionen falten sich aus wie Flügel oder in sich geschachtelte
Formen. Das Dach spielt mit der Form des Quadrats. Es wird halbiert oder
geviertelt zum Dreieck, noch mehr beschnitten zum Rechteck. Entsprechend
der Perspektive des Betrachters verwandelt sich der Umriss des Bootshauses
in der Landschaft. Es ging dem Architekten zuerst darum, die „Funktion
eines Gebäudes zu begreifen. Wenn das geschehen ist, entwickelt sich
daraus seine Gestalt“. In einem Zeitungsbericht heißt es:
„Das Haus ist spartanisch, aber solide, zweckmäßig und
funktionell gestaltet <...> es gibt kein Zuviel an Materialien,
auch nur dort Verkleidungen, wo erforderlich. (85-86)Dezent wurde allerdings
eine Symbolik verwendet, nämlich ein Sportgerät, das ‚Paddel’.
Seine Konturen finden Sie an Eingängen, den Fenstern und den Geländern“.
Während es in einer Würdigung heißt, Wolfgang Ernst habe
damit ein weiteres Meisterwerk geschaffen, liest man in einer Flugschrift
der Jungen Union Saarlouis: „Welch herrliche Architektur! Man bestaune
und bewundere nur die ‚tausend’ Ecken und Winkel dieses Baudenkmals.“
(87-90) Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Wolfgang Ernst ökonomisches
Denken und die Verwendung von gleichsam elementaren Materialien im Büro
von Walter Schrempf gelernt hat. Seine Bevorzugung von Holz, Beton, Sichtbauwänden
ist in allen großen Projekten sichtbar. (91-94) Ein Auftrag (1994),
für die lothringische Stadt Thionville fünfzig Sozialwohnungen
zu bauen, verlangte zwar ein Umdenken – hier war nicht wie bei den
kurz vorgestellten Bauskulpturen Holz als wichtiges Element und die Auffaltung
und das Aufbrechen von Dachflächen als Charakteristikum Ernstschen
Bauens zu wiederholen. Im Rahmen eines Partnerschaftsunternehmens wurde
er als Architekt für dieses große, auch städtebaulich
bedeutende Unternehmen, engagiert. Von französischer Seite hat man
diese Form europäischer Partnerschaft besonders hervorgehoben. Die
drei- bis vierstöckigen Häuser erlaubten eine abwechselnde Dachhöhe,
so dass in der Ansicht der Eindruck eines „rythme ondulatoire comme
l’aspect d’une chenille“ entsteht. Natürlich gab
es Schwierigkeiten in der langen Planungsphase – der französische
Partner forderte mehrfach Einsparungen. Letzten Endes ist aber ein gelungenes
Quartier im Quartier Beauregard entstanden.
(95-97) Bei einem weniger großen Bauvorhaben hat Wolfgang Ernst
mit einer Fassade in der Zeughausstraße (2004/05) in Saarlouis gezeigt,
was mit relativ wenigen Mitteln im Rahmen einer Sanierung machbar ist.
Für die 80 m lange Fassade der Zeughausstraße musste eine Lösung
(wie in Thionville) dafür gefunden werden, wie Individualität
bei aller Einförmigkeit entstehen kann. Der Altbau aus dem Jahr 1938
mit 24 Sozialwohnungen auf drei Geschossen war eine neue Herausforderung.
Außer den bautechnischen Verbesserungen (Wärme und Schalldämmung)
war besonders die Farbgebung reizvoll. Schatten oder Spiegelungen der
durch die Farbe freundlich wirkenden Fassade haben aus der Häuserzeile
ein neues Bauwerk gemacht. Hinzu kamen 24 Balkone mit je 7,5 qm, so dass
jeder Bewohner über seinen eigenen großen Balkon verfügt.
Der Plan, jeder Mietspartei Licht und Farbe zu schenken, ist offensichtlich
gelungen.
In den letzten Jahren wurde Wolfgang Ernst mehrfach mit der Erweiterung
und dem Umbau von Schulen beauftragt. (98-100) Der Erweiterungsbau der
Johannes Gutenberg-Schule in Schwalbach, begonnen 1997, hat dem Schulbau
zehn neue Klassenräume und sieben Funktionsräume eingebracht.
Die Schulleitung, das Lehrerkollegium und die Schüler waren in der
längeren Planungsphase kritisch und aktiv an der Suche nach dem optimalen
Plan beteiligt. Sowohl der Zuschnitt des Raumprogramms, die Farbgebung,
der offenporige Verputz, die Fenster und die Optik des Erweiterungsbaus
insgesamt werden von den Schülern und Lehrern einstimmig gelobt.
Das offene Gebälk im Kunstraum komme gut an. Die Schule biete jetzt
die Architektur, die man brauche, um den Aufenthalt dort „angenehm“
und „menschlich“ zu empfinden. Besonders auffällig sind
die Dächer: weit überstehende, flachgeneigte Pultdächer
aus Trapezblechen. Sie betonen die unterschiedlichen Höhen der Gebäude.
Der Schulhof wurde in die Planung einbezogen.
(101-103) Wolfgang Ernst arbeitet gerade an einem weiteren Schulprojekt,
der Kirchbergschule in Schwalbach-Griesborn. Dort wird die bisherige Grundschule
zu einer Ganztagsschule ausgebaut.
(104-106) Für die Architekturausstellung „Architektur im Grenzbereich“
in Verbindung mit luxemburgischen Architekten hat W. Ernst ein Projekt
entwickelt, das den Verlauf des ehemaligen Festungssterns sicht- und erlebbar
machen soll. Lichtsäulen an den Bastionsspitzen sollen die wichtigen
Punkte der ehemaligen Festungsstadt optisch hervorheben.
Nach fünfzig Jahren als Architekt kann Wolfgang Ernst auf ein eindrucksvolles
und vielseitiges architektonisches Lebenswerk zurückblicken. Seine
Nähe zur Praxis von Anfang an hat ihm den Ruf eines überaus
genauen und kritischen Architekten auch im Umgang mit den verschiedenen
Bauhandwerken eingebracht. Er sieht immer genau hin, Schludrigkeiten werden
beim Namen genannt und müssen den Regeln des Handwerks entsprechend
in Ordnung gebracht werden. Selbst kleinste Details finden die Aufmerksamkeit
des Architekten. Sein in vielen Jahrzehnten erprobter Umgang mit den genannten
Materialien, seine charakteristische Hausform im Sinne einer architektonischen
Plastik oder einer Bauskulptur haben zu einer originellen und dennoch
den Gegebenheiten angepassten eigenen Handschrift geführt.
Der junge Architekt Oswald Matthias Ungers, zunächst in der Nähe
von Scharouns Baukonzeption, hat 1972 folgende Forderungen erhoben: „Architektur
ist vitales Eindringen in eine vielschichtige, geheimnisvolle, gewachsene
und geprägte Umwelt. Ihr schöpferischer Auftrag ist Sichtbarmachung
der Aufgabe, Einordnung in das Vorhandene, Akzentsetzung und Überhöhung
des Ortes. Sie ist immer wieder Erkennen des Genius loci, aus dem sie
erwächst. Architektur ist nicht nur zweidimensionaler Eindruck, sondern
wird Erlebnis des Körperhaften und Räumlichen durch Umschreiten
und Eindringen. An die Stelle der Starre tritt die Bewegung, der Symmetrie
die Asymmetrie, der Statik die Dynamik. An die Stelle der monotonen Übersichtlichkeit
tritt die Überraschung“. (Ulrich Conrads [Hrsg.]: Programme
und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts. Braunschweig 21984,
S. 185f.)
Wolfgang Ernst war und ist als Architekt immer für eine Überraschung
gut. Für seine weitere schöpferische Arbeit begleiten ihn unsere
besten Wünsche!
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